Temporäre Lerngruppen an der Wedding-Schule

Erstellt

Thema InklusionSchule

von Barbara Brecht-Hadraschek

Das Projekt „Schule Inklusiv“ an der Wedding-Schule ist eine besondere Form der sozialpädagogischen Kleingruppe.  Hier werden Kinder in ihrer Entwicklung gefördert, für die der Schulalltag eine besondere Herausforderung darstellt. Die Ziele von „Schule Inklusiv“: Positive Lernerfahrungen für die Kinder und eine gute soziale Integration in die Regelklasse.

Das Interview ist eine Zweitveröffentlichung und erschien zuerst in unserem tandem MAGAZIN, Ausgabe 2/17.

Die Mitarbeiter*innens von „Schule Inklusiv“ erklären das pädagogische Konzept des Projektes und erzählen von der konkreten Arbeit mit den Kindern und ihren Eltern.

„Schule Inklusiv“ – wie funktioniert das konkret an der Wedding-Schule?

Vera Koppen: Die Kinder nehmen ganz normal am Regelunterricht teil und werden für einige Stunden in der Woche für die schulbezogene Gruppenarbeit herausgeholt. Je nach Klassenstufe zwei oder dreimal die Woche für zwei Stunden. In den strukturierten Gruppenstunden wechseln sich dann Kreativ-, Projekt- und Spielphasen mit Lernphasen ab, in den auch Fächer wie Mathe, Deutsch oder Sachkunde angeboten werden. Wir haben eine Gruppe mit Viert- und Fünftklässlern und eine Gruppe aus Zweit- und Drittklässlern.

Michaela Glas: Bei allen Angeboten steht im Mittelpunkt, dass die Kinder Erfolgserlebnisse erfahren und bestärkt werden – und das eben in möglichst vielen Bereichen. Es gibt deshalb Phasen, die am Tisch stattfinden. Das ist für die Kleinen eine richtige Herausforderungen: aufzupassen, sich zu melden, zu hören, wenn jemand anders spricht. Dann gibt es Phasen, in denen sie alleine arbeiten, was ja auch ganz wichtig zu erlernen ist, und solche, in denen sie sich viel bewegen. Auch diese Phasenwechsel üben wir mit ihnen.

Nach den Gruppenstunden werten wir gemeinsam mit den Kindern die Stunde aus: Was habe ich heute gelernt? Zum Beispiel „Ich sage ruhig, was mich wütend macht oder freut“. Oder: „In der Stilleübung suche ich mir einen Punkt.“

Sie arbeiten nach ETEP©, das ist ein pädagogisches Konzept. Worum geht es dabei?

Vera Koppen: Mit der Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik (ETEP) wird der Entwicklungsstand jedes Kindes – und damit seine individuellen Entwicklungsziele in den Gruppenstunden anhand des Entwicklungstherapeutischen/entwicklungspädagogischen Lernziel-Diagnosebogens (ELDiB) festgestellt.  An diesem Fragebogen ist bei uns das ganze Klassenteam beteiligt, die Klassenlehrer*innen, die Klassenerzieher*innen, wir hier von Schule Inklusiv.  Wir schauen dann gemeinsam an, wo das Kind steht und formulieren Entwicklungsziele. Diese werden mit dem Kind und seinen Eltern besprochen. Ungefähr jedes halbe Jahr wird das überprüft.

Michaela Glas: Anhand der Entwicklungsziele gestalten wir dann die Gruppenstunden. Das ist wirklich ein tolles Instrument, die eigenen Angebote auszurichten. Ich sehe, was können die Kinder schon, was müssen sie üben, was können sie noch überhaupt nicht? 

Die Kinder bekommen dann ihre Ziele richtig vor Augen geführt?

Michaela Glas: Genau. Die Ziele werden am Anfang jeder Gruppenstunde wiederholt. Wir überlegen gemeinsam: Mensch, wo kannst du das denn lernen? Wo hat es denn schon gut geklappt?

Wie ist Ihre Arbeit im Umfeld der Kindes eingebunden: Schule, Eltern…?

Michaela Glas: Das beginnt schon damit, dass wir überlegen, ob ein Kind in die Gruppe passen könnte. Wir hospitieren im Unterricht und besprechen uns mit den Lehrer*innen, der Erzieher*in und der Sonderpädagog*in. Das ist im gesamten Prozess eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Klassenleitungsteam, aber auch mit der Schulleitung und den anderen Schulsozialarbeiter*innen an der Schule.

Mit den Eltern kommen wir meistens auf der Hilfekonferenz das erste Mal in Kontakt. Hier werden gemeinsam Ziele formuliert und  verschriftlicht. Meistens wird eine Maßnahme für ein Jahr bewilligt. (Die Unterstützung ist eine Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 (2) SGB VIII.) Zu Beginn lassen wir die Kinder (und Eltern) erstmal in der Gruppe ankommen. Nach fünf bis sechs Wochen machen wir einen ersten Gesprächstermin – das kann bei uns hier in der Schule sein, wir machen aber auch relativ viele Hausbesuche. Wir haben einen sehr unterschiedlichen Rhythmus. Es gibt Eltern, die sieht man jede Woche, wenn es Probleme gibt, und andere, die sieht man nur alle sechs bis acht Wochen.

Vera Koppen: Und wenn es beispielsweise schon einen Familienhelfer und Elternarbeit gibt,  ist es unsere Aufgabe, uns mit diesen Helfer zu  koordinieren. Das handhaben wir ganz flexibel, auch in Absprache mit dem Jugendamt, das uns sehr unterstützt.

Michaela Glas: Die Elterngespräche machen wir teilweise auch zusammen mit den Lehrer*innen. Wir stimmen uns da ganz eng aufeinander ab und arbeiten Hand in Hand.

Was bewegen Sie bei den Eltern, in den Familien?

Michaela Glas: Einiges. Manche Eltern lassen sich gut einbinden in diesen Veränderungsprozess, weil sie miterleben, das da wirklich was passiert mit ihrem Kind.

Bei einem Schüler haben wir eine Lerntherapie in Verbindung mit Psychotherapie organisiert. Da hatten wir zuvor schon ganz kleinschrittig Ziele formuliert mit den Eltern und mit den Kindern. Diese Ziele wurden auch von den Eltern abgearbeitet. Der Vater ruft mich jetzt regelmäßig an und erzählt mir: Mensch, Frau Glas, ich habe in der Therapie angerufen und wir stehen jetzt auf Platz 12.

Vera Koppen: Manche Eltern brauchen ganz viel Unterstützung, um solche Hilfen einzuleiten und manche machen das sofort. Da geht es vor allem darum, gemeinsam nachzudenken, was das Kind braucht. Dann sind wir Türöffner für weitere Hilfen, sei es Lerntherapie, Diagnostik, Familienhilfe oder Tagesgruppe.

Was sind das konkret für Ziele, die Sie mit den Eltern vereinbaren? Können Sie ein Beispiel nennen?

Michaela Glas: Bei einem Schüler war zum Beispiel die Mediennutzung ein großes Thema. Er hatte in seinem Zimmer eine Play Station, einen Fernseher, ein Handy, ein Tablet, eben das volle Programm. Er ging nie raus, ging schlafen, wann er wollte und legte sich dann auch zu seiner Mutter ins Bett. Hier haben wir ganz klare Ziele formuliert: Der Fernseher kommt raus, die Play Station kommt weg, er geht abends in sein eigenes Bett. Die Mutter kommt nochmal zu ihm, so dass sie noch eine gemeinsame Zeit haben, wo gekuschelt wird oder Geschichten erzählt werden. Der Vater übernimmt die Aufgabe, mit ihm etwas zu suchen, was er sportlich machen möchte. Der Junge ist jetzt zweimal die Woche im Karate Klub. Das sind so Ziele, die wir formuliert haben und die auch gut funktionieren.

Natürlich sind nicht alle Eltern so, dass die so mitmachen und sich darauf einlassen. Das war jetzt ein schönes Beispiel.

Vera Koppen: Für manche Kinder ist unser Projekt eine große Stütze auch im familiären Alltag, sie merken, hier habe ich eine Vertrauensperson, hier schaut jemand ganz genau auf mich. Für die Kinder ist es gut, so eine Insel zu haben und sie gehen gestärkt nicht nur in ihre Klasse, sondern auch in ihre Familie.

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